22.09.2020Khamlia Teil 1
Nun bin ich schon die dritte Woche in Khamlia, in einem kleinen Dorf in Marokko. Der Wind bläst Saharastaub auf meinen Laptop, die Palmen wiegen sich im Wind. Es ist einer der seltenen Tage hier, an denen die Sonne von Wolken bedeckt ist. Sonst würde man sie hinter den Dünen untergehen sehen. Neben der Geräuschen des Windes hört man Rhythmen im Hintergrund: die Touristen sind da. Seit drei Wochen sehe ich Touristen und Reisende kommen und gehen. Oder eher gesagt – nur Touristen. Echten Reisenden begegnet man eher selten. Selbst in solchen besonderen Orten wie hier. Wenn ich hier sitze und die offenen, lächelnden Gesichter der Menschen so beobachte, frage ich mich, wie viele von solchen schönen Orten ich auf meinen Reisen verpasst habe. Die meisten Menschen kommen hier her zum Dinner, hören kurz der Musik zu und gehen. Manchmal werden sie zum tanzen überredet. Das war´s – ça fait – wie die Leute hier sagen. Aber wofür kommen sie dann? Um etwas „besonderes“, etwas exotisches zu sehen? Und das bekommen sie auch. Dann gibt es ein Selfie mit den Gnauer Musikern. Und ich frage mich, mit welchem Eindruck fahren diese Menschen nach Hause? Das kann man nur erraten, aber mindesten kann ich von meinen Eindrücken erzählen.
Ich stehe an einer staubigen Straße. Sie führt in die Wüste. Als Schutz gegen den Sand habe ich mir mein Tuch um Kopf, Mund und Nase gebunden. Wieder fährt ein Wohnwagen vorbei. Ein französisches Kennzeichen. Ich strecke den Daumen raus. Ich bin müde, genervt – ein Arschloch in Rissani hatte mich betrogen – die Schatten werden länger. Die Sonne taucht Merzougas Lehmhäuser in gelbes Licht. Ich fange schon an abzuschätzen, ob ich die sieben Kilometer nach Khamlia vor dem Anbruch der Dunkelheit zu Fuß schaffen würde, als ein spanisches Pärchen anhält. Sie lassen mich direkt an dem Camp raus, in dem ich ein Zelt gebucht hatte. Um eine Feuerstelle herum sind Teppiche ausgelegt. Aus einem großen Lehmhaus hört man Gespräche. „Spielst du Gitarre?“- fragt mich ein junger Berber. Und drückt sie mir in die Hand, als ich mit „un peut“ antwortete. Er erklärt mir immer wieder geduldig die Melodie. Wir werden von Aziz unterbrochen. Ein ungewöhnlich großer, schwarzer Mann mit tiefer Stimme gibt mir die Hand. Er trägt eine weiße Tracht mit weißem Turban und bietet an, mich herumzuführen. „Wie gefällt dir Marokko?“ fragt er und ich ordne die Frage nicht als höflichen Smalltalk, sondern als echtes Interesse ein. Eben hat er noch Französisch gesprochen, jetzt wechselt er für mich auf gutes Englisch. Er stellt mich auch den Frauen in der Küche vor. Acht fröhliche Augenpaare leuchten mir entgegen. Die Küche ist ein großer dunkler Raum mit zwei Gasherden und einem großen Tisch in der Mitte. In den Regalen drum herum stapeln sie Tagines. Das sind Teller mit Kegelförmigen Deckeln aus Ton in denen das traditionelle Gericht, Tagine zubereitet wird. Außerhalb der Küche lodert in einem kleinen Steinofen ein Feuer. Eine Frau sitzt davor und backt Brot. Später soll Rachea Ali trotz Sprachbarriere zu einer guten Freundin werden. Ein Kellner bietet mir immer wieder Tee an. In seinen ruhigen, gutmütigen Augen sehe ich die Frage „alleine als Mädchen in Marokko?“.
Wir kommen ins Gespräch. Er studiere Jura in Marrakech und helfe jetzt nur seinem Cousin Zaid aus, weil sonst keiner da sei. „geh schlafen, wenn du müde bist, wir wecken dich, wenn es Abendessen gibt“ verspricht er mir. Nach 35 Stunden im Bus nehme ich das Angebot gerne an.
Am späten Abend wurden dann die Trommeln rausgeholt. So etwas habe ich in Marokko nicht erwartet. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung, alle singen und trommeln. Ich lerne mehr Einheimische kennen. Mahjoub, ein eher schüchterner Mann mit intelligenten Augen und nachdenklich gefalteter Stirn erklärt mir die Geschichte der Gnauer. Die Gnauer sind die Nachfahren ehemaliger Sklaven aus Subsahara-Afrika. Dies ist auch der Ursprung der Gnauer Musik. Mit den Irkakaschin, den Kastagnetten werden zwei Rhythmen gleichzeitig gespielt. Dazu wird gesungen. Die Musik berührt durch die Rhythmen und die Vibrationen. Selbst als die Touristen schon schlafen, klingen die Trommeln weiter. Bis tief in die Nacht. Trotz der Müdigkeit fällt es mir schwer, mich von den fremdartigen Klängen zu trennen. Ich entspanne mich immer mehr, nachdem ich in Marokko zunehmend vorsichtig geworden war. Am nächsten Tag zeigt mir Mohamed, der Kellner die Schule. So viele lachende Gesichter und Augen. Kinder, Mädchen und Jungen, verschiedenen Alters spielten mit allem möglichen Krams, während wir mit einer Touristen Gruppe aus Spanien halfen, die Räume zu renovieren. Einige, nicht alle der Mädchen tragen Kopftücher. Manche waren, ähnlich wie ein Turban nach oben gebunden. Wir singen und tanzen zusammen, es war ein schöner Tag. Meinen Plan, nur eine Nacht zu bleiben, verwarf ich schnell. Was auch wegen des fehlenden Transporters nicht möglich gewesen wäre. In den nächsten Tagen hier langweile ich mich keine Minute. Immer findet sich etwas interessantes zu sehen oder ein neuer Gesprächspartner. Als ich Khamlia dann verlassen musste, versprach ich wiederzukommen. Und so kam es auch.