27.11.2020Khamlia Teil 3
Es wird Nachmittag, das Licht ist jetzt schön zum Fotografieren und ich nehme meine Kamera mit in die Wüste. Die Zelte aus Ziegenfell, die zum Camp gehören, schließen gleich an kleine Dünen an. Der Boden ist trocken und in kleine, sich zusammenrollenden Teile aufgesplittert und vereinzelt finden sich kleine Bäume zwischen den Dünen. Kleine Wassermelonen wachsen zwischen den Zelten im Sand. Neben einer kleinen Pfütze gedeihen zarte lila Blumen. In der Ferne sieht man die berühmte Dünen Erg Chebbi thronen. Ein beliebtes Ausflugsziel für die vielen Touristen. Etwas weiter weg sieht man auch schwarze Berge. Ich laufe weiter in die Wüste hinaus. Wasserpumpen leiten Wasser in das Dorf und die umliegenden Felder. Die Felder sind durch Holz und schilfartiges Gras abgegrenzte Quadrate im Sand. Es ist schwer sich vorzustellen, was hier wachsen könnte. Aber näher am Dorf findet man einen grünen Garten mit Olivenbäumen, Palmen, Knoblauch und verschiedenen Heilpflanzen. Einige Frauen und Männer sitzen im Garten. Belkher, ein junger Mann mit ernsten Blick fragt mich, ob ich helfen möchte, Knoblauch einzupflanzen. Mit einem Stock bohrt er viele kleine Löcher in den Sand und versengt dort dann jeweils eine Knoblauchzehe. Um die rechteckigen Felder führen kleine Wasserkanäle. Belhker öffnet einen Kanal und flutet das Feld mit Wasser. Dann verschließt er ihn wieder mit Schlamm. Er erklärt mir auch einige Pflanzen. Die drei älteren Frauen sitzen immer noch unter einem Baum und unterhalten sich. Man hört ihre Stimmen aus großer Entfernung. Sie bieten mir einen Granatapfel an. Eine junge Frau setzt sich zu Belkher. Sie flüstern und lachen zusammen. Langsam setzt die Dämmerung ein. Es wird kalt. Ich gehe wieder rein. Im großen Lehmhaus treffe ich Mahjoub wieder. Wir essen zusammen und unterhalten uns. Er erzählt mir von seinem Leben und seiner Kindheit. Als Kind sei er mit seiner Familie ein Jahr als Nomade durch die Wüste gezogen. Danach, mit zehn Jahren sei er nicht wieder zur Schule gegangen, sonder habe auf dem Bau gearbeitet. Wegen Rassismus sei er von den anderen Kindern isoliert gewesen und habe kaum gesprochen, sich dagegen in Bücher geflüchtet. Er kam wegen der Verdienstmöglichkeit als Gnauer-Musiker nach Khamlia. Der Tourismus hat die ökonomische Situation de Gnauer verbessert. -Naja, zehn Euro am Tag verdient ein Musiker, wobei man nur jeden zweiten Tag arbeitet. – Mittlerweile spricht er drei Fremdsprachen und wirkt auf mich unglaublich gebildet. Er habe sein Selbstbewusstsein in der Kommunikation mit Touristen wiedergefunden, berichtet er. „Aber wieso braucht ihr Deutschen immer Bier, um zu tanzen und glücklich zu sein?“, fragt er, als viele der spanischen Touristen anfangen zu der Musik der Irkakaschin und Hoschusch zu tanzen. „Ihr Deutschen seid so verschlossen“. Ja, das stimmt. Vergleicht man die leuchtenden Augen der Musiker mit denen oft kritischen, ausdruckslosen Gesichtern der Touristen, versteht man seine Aussage. Wir haben gelernt, uns vor einander zu fürchten und zu verschließen. Ein Produkt von ständiger Konkurrenz. So viel Formalismus, so viele Floskeln. Andererseits, berichtet Mahjoub, sei es auch ein Problem, dass gerade die jungen Musiker nur für Geld spielen und gar nicht wissen, was für eine Geschichte dahinter steht. Dies sei der Grund, weshalb er aufgehört habe für Touristen Musik zu machen. Doch manchmal, wenn nicht genug Gnauer zum spielen da sind, nimmt auch er die Trommel in die Hand. Dann sieht er glücklich aus.
Oktober 2019