27.11.2020Khamlia Teil 4
Gestern Abend:
Mohamed und ich sitzen im großem Lehmhaus. Er scheitert gerade daran, mir einen Rhythmus mit den Irkakaschin beizubringen. Mahjub kommt rein zu uns: „music lesson?“, fragt er ironisch. Zwei Mal mit rechts einmal mit links. Eigentlich ganz simpel, aber mein Lehrer schüttelt mit dem Kopf „hörst du nicht?“. Aicha erscheint in der Tür. Sie nimmt eine Trommel mit. Wir üben weiter, als Ibrahim seinen Kopf durch die Tür steck. Ibrahim, ein junger, fröhlicher Mann mit kleinen lebendigen Augen nimmt die zweite Trommel aus dem Haus. Er winkt uns mitzukommen. Vor dem Unterstand ist eine Zeltplane aufgehängt. In der Ecke sitzt Aicha und trommelt zusammen mit einigen Kindern. Ibrahim setzt sich mit der Trommel ihr gegenüber. Sie fangen an zu singen und einen Rhythmus zu schlagen. Eine Frau, die ich vorher noch nie gesehen haben kommt hinzu. Mahjub drückt mir wieder die Irkakaschin in die Hand. „Spiel einfach, das ist nicht schwer“. Mohamed fällt mit seinen Irkakaschin mit ein. Auch ich fange an zu hören und schlage vorsichtig einen Takt an. Es fühlt sich toll an, Teil der Gemeinschaft zu sein. Hatimama kommt ins Zelt. Wir kennen uns gut, denn ich habe ihr und ihrer Schwester Rahma und Rahea öfter in der Küche geholfen. Rahma spricht gut Französisch und hat mir mit ihrer offenen und herzlichen Art einiges in der Küche beigebracht – und mich manchmal auch ausgelacht. Sie bringt Tee und Kekse, dann setzt sie sich neben mich. Als ich die Irkakaschin zur Seite lege, nimmt sie sie und spielt. Zwei Takte gleichzeitig. Mittlerweile hat Mohamed die Irkakaschin an Mahjub weitergegeben, als er anfing auf dem Tisch zu trommeln. So erklingt ein Takt aus der anderen Ecke des Unterstandes, der anders als jener Hatimamas. Die Trommeln erreichen einen Höhepunkt. Ibrahim Augen leuchten. Ich klatsche im Takt. Immer mehr Menschen erscheinen hinter der Zeltplane. Ich drehe meinen Kopf nach links und sehen, wie die Frau, die ich nicht kenne ihren Oberkörper nach vorne und hinten beugt. Sie scheint in einer art Trance. Als Mahjub aufhört kommt sie wieder zu sich. Sie lacht und sieht sich um. In solchen Momenten bereue ich es, kein Arabisch oder Amazigh zu können. Ich hätte sie so gerne ausgefragt. Insgesamt unterscheidet sich das Reisen mit Sprache, davon, ohne eine lokale Sprache unterwegs zu sein. Ohne Sprache kommt man vor allem mit der gebildeten Jugend in Kontakt. Sie repräsentiert natürlich weit nicht das ganze Land. Andererseits ist man auf seine Menschenkenntnisse angewiesen. Lachende Augen und Gesichter zu erkennen. Die Menschen sind doch an der Basis gleich auf der Welt getrennt von Grenzen und Dogmen. Manchmal spricht man die selbe Sprache, doch spricht über nichts und manchmal können Blicke alles sagen. Doch eben nicht immer. Und jetzt würde ich gerne fragen können, was passiert ist. Eine Sprache hier in Marokko zu lernen ist auch nicht einfach. Neben Arabisch sprechen die Menschen die alte, vor dem Islam in Nordafrika verbreitete Sprache Amazigh, aber eben auch nicht alle. Im Prinzip sprechen hier alle arabisch, doch der marokkanische Dialekt unterschiedet sich so stark, dass man mit dem Schularabisch – Fusha- in den Dörfern nicht weit kommt. Im Prinzip ist es so, als würde man irgendwo in einem österreichischen Dorf in der Sprache Goethes nach dem Weg fragen. Man muss also mindestens zwei Sprachen lernen, denn auch wenn die Menschen Fusha verstehen, heißt es nicht, dass sie auf Hocharabisch antworten. Das heißt auch das bspw. ein Syrer und ein Marokkaner erhebliche Probleme in der Verständigung haben würden. – Aber zurück nach Khamlia:
Abdulkaders kindlich gutes Gesicht erscheint im Unterstand. Er bringt eine Hoschusch mit und fängt gleich an zu spielen. Sein Traum, wie vieler anderer hier, ist es, selbstständig am Tourismus verdienen zu können. Dafür hat Kader sein Studium abgebrochen. – Vielleicht tut er auch gut daran, denn in Marokko ist es schwer mit Abschluss eine Arbeit zu finden. „Viele der Taxifahrer in Marrakesh habe einen Uniabschluss.“, hat mir Hassan, ein Freund von Ibrahim erzählt. Hassan hat einen Bachelor in Englisch, Ibrahim den höchsten Abschluss im Management, doch beide arbeiten als Kellner. – Abdulkader spielt toll Hoschusch und singt. Daran verdient er auch gerade, auch wenn er mir versichert dass Geld absolut nicht wichtig sei. Er träumt vom positiven Austausch mit Touristen. Kader reiht sich in die musizierende Gruppe mit ein. Er spielt nach Gefühl, keine auswendig gelernten Melodien. Insgesamt spielen hier alle ohne Plan und trotzdem ist es zu jederzeit harmonisch. Es wird sich nie abgesprochen. Die Rhythmen und Melodien verändern sich fließend. Jeder ist ein Teil des Ganzen, jeder weiß, was er gerade beitragen kann. Es wird gefühlt, nicht gedacht. Irgendwann kommt Rahma mit dem Abendessen – Harera, eine Suppe, die in verschiedenen Variationen jeden Abend gegessen wird. Jeder, der dazukommt, wird bedient. Im Hintergrund noch immer Kaders leises Zupfen auf der Hoschusch. Genau für solche Abende reist man, solche Abende, mit dieser guten Stimmung verbinden gute Menschen überall auf der Welt. Bei uns im Westen muss man Atmosphären wie diese lange suchen. Wir sind verdorben von simpler Popmusik, haben verlernt Tiefe und echte, interessante Musik und Kunst insgesamt zu schätzen. Eher wird man für das Singen, für ernsthaftes Interesse ausgelacht als wertgeschätzt. Solche Abende genieße ich umso mehr.